0072 Reichsparteitagsgelände:
Lösungen für das Unlösbare


Ort
Nürnberg
Planung / Realisierung
2001
Leistungsphasen
Wettbewerb
Bauherr
--
Größe
--
Bausumme
--
Architekt
MSP Meier-Scupin & Petzet
Team
Muck Petzet, Christoph Mayr


Der Versuch architektonische Lösungen für das Unlösbare zu finden muss scheitern.
Statt dem Vorhandenen eine neue Schicht hinzuzufügen schlagen wir vor die beiden sich überlagernden Schichten des Reichsparteitagsgeländes durch Information bewusst zu machen:

Unlösbare Widersprüche
Der Umgang mit den baulichen Zeugnissen der Nationalsozialistischen Herrschaft ist immer von unauflöslichen Gegensätzen geprägt: Die Denkmäler dieser dunklen Historie müssen erhalten werden ohne als Weihe- oder Erinnerungsstätten eines sich erneuernden Nationalismus ′restauriert′ zu werden. Die neoklassizistisch-überhöhte architektonische Gestaltung der Bauten, die auch als Ruine ihre Wirkung entfalten, und die auf einprägsame Masseninszenierungen angelegte archaische Erhabenheit der gigantischen städtebaulichen Anlagen erschweren dieses Unterfangen bis fast zur Unmöglichkeit. Architektonische Mittel müssen vor dem Maßstab des Reichsparteitagsgeländes versagen. Nur ein gesamtgesellschaftlicher, alltäglich bewußter aber gelassener Umgang mit der Anlage kann der gesellschaftlich politischen Herausforderung dieser gebauten und vor nicht einmal 60 Jahren gelebten und geglaubten Hybris etwas adäquates entgegensetzen.

Reichsparteitagsgelände / Volkspark Dutzendteich
Der Volkspark Dutzendteich mit seinen vielfältigen und spontan entstandenen Nutzungen und den teilweise ungeordneten Freiflächen, bildet in seiner heutigen Anlage den Grundstock für einen solchen, maßstabsgerechten, d.h. gesellschaftsrelevanten Umgang. Die ursprüngliche Anlage wurde von ′profanen′ Nutzungen überwuchert ohne unkenntlich zu werden. Die noch erhaltenen baulichen Teile der Anlage sind gerade durch die Aufnahme solcher Nutzungen der Sprengung oder sonstigen Zerstörung entgangen. Ein gutes Beispiel stellt der Torso der Kongreßhalle dar. Die ′neutrale′, ′bedeutungslose′ Nutzung als Lagerhalle stellt die materielle Existenz des Gebäudes sicher ohne Anlaß zu fragwürdiger inhaltlicher oder architektonischer Interpretation oder Umdeutung des Gebäudes zu geben. Wir plädieren hier für den Erhalt der vorhandenen oder Aufnahme ähnlicher Nutzungen, die keine bauliche Veränderung der Substanz erfordern. Ähnliches läßt sich für fast alle Teile der Anlage und ihre heutigen Nutzungen sagen: die große Straße als Parkplatz und Spielfläche, das Zeppelinfeld als Sport und Veranstaltungsgelände, das deutsche Stadion als künstliche Park-Landschaft, die SS-Kaserne als Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Das Märzfeld als Wohnsiedlung.

Strategien: Geschichtsschichten, Aneignung, Erhalt und Auseinandersetzung:
Die Alltäglichkeit hat sich die Geschichtssubstanz angeeignet, sie teilweise überwachsen oder zerstört aber größtenteils erhalten. Der Umgang, das Verhältnis dieser Alltäglichkeit mit Ihrer Geschichte ist letztlich entscheidend für die Zukuftsfähigkeit eines Gesamtkonzeptes für dieses geschichtsträchtige Gelände. Die vorgeschlagenen Interventionen zielen daher einerseits auf die Stärkung, die Verfestigung selbstetablierter Strukturen der Erholungs- und Freiraumnutzung (ohne zu stark ordnend einzugreifen), andererseits auf die Instandhaltung von der Zerstörung bedrohter Substanz und die Wiederverdeutlichung von Blick- und Wegebeziehungen die zum Verständnis der Anlage notwendig sind. Die unauflösbaren Gegensätze der Erinnerungsstätte Reichsparteitagsgelände einerseits, wie des Volks- oder besser Erholungsparks Dutzendteich andererseits sollen als Schichten einer Gesellschaftsentwicklung nebeneinander ablesbar und erlebbar werden. Beide nehmen denselben Raum, das gesamte Gelände ein. Die Erinnerungsstätte Reichsparteitagsgelände soll dabei nicht durch zusätzliche architektonische oder landschaftsplanerische Eingriffe gebildet werden sondern durch einen sichtbaren gesellschaftlichen Bildungs-Prozess: Informationspunkte, die weithin sichtbaren ′Infotainer′ und Informationsvermittler, die ′Parkranger′ stellen - als mobile Erweiterung des Dokumentationszentrums in den Park- die Infrastruktur und Informationsquelle zur ernsthaften Auseinandersetzung mit den geschichtlichen Hintergründen und Zusammenhängen zur Verfügung.
Die Parkranger bilden dabei als moralische wie ordnungsrechtliche Instanzen an der Schnittstelle der Geschichtsebenen auch ein wirksames Kontrollinstrument vor Ort um evt. Mißbrauch der Anlagen zu verhindern. Die Alltäglichkeit der Arbeit der Ranger als Pfleger, Ordner und Führer durch die Anlagen stellt die inhaltliche Verbindung zum alltäglichen aber bewußten Umgang mit dem Gelände her. Zwischen den Informationspunkten und den vorhandenen Geschichtszeugnissen kann der interessierte Besucher oder aufmerksam gewordene Passant seinen individuellen Rundgang wählen.

Die Erinnerungsreste werden einzeln untersucht und nur wenn notwendig vorsichtig modifiziert: Die Sichtbeziehung zwischen großer Straße und Zeppelinfeld sollte durch Auslichtung wiederhergestellt und gleichzeitig zur Verflechtung der Wege und Sportplätze genutzt werden, der Grundstein zum Stadion sollte an seiner jetzigen Stelle verbleiben, die Steinhäufen in der ehemaligen Baugrube sollten freigelegt und mit den Abbruchsteinen aus dem Dokumentationszentrum ergänzt werden, die Tribünen des Zeppelinfeldes sollten zugänglich und als Tribünen für die Sportfelder benutzbar gemacht werden. Der Kongreßbau erhält einen neuen Durchgang, der das Dokumentationszentrum besser erreichbar und die Struktur des Gebäudes beim Durchschreiten erlebbar macht.

Den Alltag im Erholungspark Dutzendteich bestimmen nach wie vor die vielfältigen Nutzungen, die durch Befestigung oder Neufassung von Wegen, neue Sport- und Spielflächen und zusätzliche Infrastruktur neue Akzente und Entwicklungsmöglichkeiten erhalten sollen. Über die starren Achsen und geometrisch gefassten Aufmarschfelder hinweg schreiben sich die neuen Nutzungen als freies, sich ständig änderndes Geflecht in das Gelände ein. Anstelle der ‚Erledigung’ der Geschichte durch großangelegte, neu geschaffene Mahnmahle sollte unsere Gesellschaft das Angebot zu Information und Auseinandersetzung mit den noch vorhandenen Zeugnissen der Geschichte unseres Landes zur Verfügung stellen. Angenommen werden muß es von jedem einzelnen, daß Klima hierfür zu schaffen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.




Impressum:

Muck Petzet Architekten

Architekt BDA Dipl.-Ing. Muck Petzet
Landwehrstrasse 37
D - 80336 München
E-Mail: sekretariat(at)muck-petzet.com

Der Architekt Muck Petzet ist Mitglied
der Bayerischen Architektenkammer,
Waisenhausstraße 4, 80637 München
Mitgliedsnummern: 172838. Hinweise
zum bayerischen Architektengesetz und
der Berufsordnung sind einsehbar unter
www.byak.de

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