0219 Osram:
Weiterentwicklung der Nachkriegsmoderne


Ort
Ehemaliges OSRAM-Gelände, München
Planung / Realisierung
2015
Leistungsphasen
Wettbewerb
Bauherr
ABG Allgemeine Bauträgergesellschaft mbH und Co. Objekt Hellabrunn KG
Größe
--
Bausumme
--
Architekt
Muck Petzet Architekten und Mathieu Wellner
mit Atelier Bas Smets
Team
Muck Petzet, Mathieu Wellner
Wolfram Winter
Federica Altobelli, Callum McGregor


Städtebau, Geschichte und Identität
Das Osram-Gebäude, von Professor Henn, bildet den Kristallisations- und Ausgangspunkt einer Neuentwicklung mit einer starken Identität und Geschichte. Das Osram-Quartier ist sich seiner Geschichte positiv bewusst, die Weiterentwicklung folgt der strengen Ausrichtung, dem Raster und den Grundsätzen der Moderne. Wir schlagen eine Komposition aus geometrischen Gebäudeformen mit funktionalen Gebäudetypen und einer seriellen und kongruenten Gestaltung vor. Doch die Geschichte der Moderne wird nicht plump wiederholt, sie wird weitererzählt, transformiert, verdichtet, adaptiert und mit neuen Inhalten gefüllt. Auch im Fall einer kompletten Neubebauung (Variante A) schlagen wir vor, die jetzt vorhandene Bebauung und die modernistisch-progressive Geschichte des ehemaligen Osram-Geländes zum Ausgangspunkt der Neu-Entwicklung als Wohnstandort zu nehmen. Wenn das Osram-Gebäude - aus von uns nicht nachvollziehbaren Gründen - abgebrochen werden muss, schlagen wir vor, es in der alten Form einer bescheidenen ‚klassischen‘ Nachkriegsmoderne und in den alten Abmessungen wieder zu errichten. Für den Innenausbau können dabei einzelne originale Ausstattungs - und Ausbau-Elemente übernommen werden, um wieder einen authentischen Genius Loci zu erzeugen.

Lebendige Mischung
Die funktionale Trennung der CIAM Moderne wird aufgehoben, zugunsten einer lebendigen Mischung von sozialen Einrichtungen, Versorgung, aber auch kleinteiligen funktionsoffenen Gewerbe- und Wohneinheiten. Solche gemischten Einheiten bieten die Möglichkeit, jenseits der oft problematischen Belegung der Sockel mit klassischem Gewerbe oder mit reinen Wohnnutzungen, eine Belebung der Erdgeschoßzonen zu erreichen und einen urbanen Stadtraum zu erzeugen, der für die Bewohner Entfaltungs- und auch wirtschaftliche Betätigungsmöglichkeiten bietet. Die in unserem Quartier vorgesehene Mischung von unterschiedlichen Wohnformen, vielfältigem Gewerbe und sozialen Angeboten ist letztlich auch ein Beitrag zur Reduzierung der Mobilität im Sinne der nutzungsdurchmischten, dichten Stadt der kurzen Wege. Die vielfältigen Nutzungen beleben die 6m hohen Sockel der Gebäude entlang der zentralen ‚Esplanade‘.

Integration von Natur und Architektur
Die Esplanade ist, wie die Gebäude des Osram-Quartiers, präzise und geometrisch in die üppig wuchernde Landschaft der Isarauen geschnitten. Der Kontrast und die Spannung von rationaler, urbaner Dichte und der offenen Weite der Landschaft, bildet den Ausgangspunkt unserer Überlegungen. Dies wird den ganz besonderen Charakter dieses Quartiers ausmachen. Das Versprechen der Moderne - die Verbindung von Architektur und Natur - wird hier eingelöst.

Dichte
Auf diese besondere Lage kann mit einer besonderen Gebäudetypologie reagiert und wertvoller Wohnraum geschaffen werden. In der Variante A halten wir eine, gegenüber den Programmvorgaben, deutlich höhere Dichte der Bebauung für machbar und im Sinne der Erzeugung städtischen Lebens auch für sinnvoll. Diese höhere Dichte sollte auch anbetracht eines verantwortlichen Umgangs mit der knappen Ressource Raum in München angestrebt werden. Dabei sollten unseres Erachtens die Vorgaben zur Höhenentwicklung aber auch zu den Freiraumgrößen je Einwohner nochmals überdacht werden. Das Quartier geht unmittelbar in einen hochqualitativen Landschaftsraum über.

Die Freiraumversorgung ist also mehr als gewährleistet. Die Variante A zeigt das nach unseren Analysen vohandene, erheblich höhere Potential dieses Standorts für die Schaffung von in München dringend benötigten, bestens erschlossenen, zentral gelegenen und hochqualitativen Wohnraums. Unser architektonischer Ansatz nimmt auch die vorhandene und vielbefahrene Straße nicht nur als Belastung wahr - sondern als Impuls für ein neues, Technik + Mobilität bejahendes Stück München. Sollte ein Hochhaus wie in Variante A tatsächlich abgelehnt werden, schlagen wir an der gleichen Stelle die Realisierung eines Parkhauses vor. Auch in unserer Variante B wird eine, gegenüber den Programmvorgaben, höhere Dichte der Bebauung erreicht. Die Vorgaben zur Höhenentwicklung und zu den Freiraumgrößen werden eingehalten.

Freiraum
Im Kontrast zur Natur der Isarauen ist die Esplanade ein urbaner Freiraum. Sie ist ein wiedererkennbares Stück München, es sieht so aus als würde nun ein rechtwinkliger Abschnitt der Fußgängerzone in Untergiesing stehen. Wie ein städtischer Raum aussieht muss nicht immer neu erfunden werden. Die Münchner Gehsteigplatten verbunden mit schmalen rythmisierenden Granitsteinstreifen, die kombinierbaren hexagonalen Pflanzschalen, die typischen Straßenlaternen der Innenstadt und die frei verfügbaren Metallstühle, sind ein wichtiger Teil des Münchner Stadtraumes seit der Eröffnung der Fußgängerzone 1972 (Planung: Professor Winkler).

Die Wiedererkennbarkeit dieser städtischen Elemente, die Ökonomie der Mittel und der Pragmatismus bereits vorhandene Stadtmöblierungen und Materialien zu nutzen sind die gestalterischen Prinzipien dieses Freiraums, bzw unser Non-Design dieser Fläche. Wir möchten, wenn auch im relativ kleinen Maßstab, ein Gefühl von Urbanität erzeugen und die entsteht durch eine Gleichzeitigkeit von Ereignissen, durch Diversität, Dichte und einem Nebeneinander von privaten und öffentlichen Aktivitäten. Die Esplanade hat diese Qualitäten, zumal sie nicht nur ein wichtiger öffentlicher Zugang zu den Isarauen werden könnte, sondern auch die Eingänge zu den Wohnungen, zur Kita, zu den Tiefgaragen, zum Osram-Haus, zum Supermarkt, den Läden, den Sozialräumen und Stadtteileinrichtungen in den Sockelgeschossen der Neubauten konzentriert.
Die Esplanade ist ein neuer Möglichkeitsraum und ein Treffpunkt von Untergiesing.

Gebäude 1 / Osram-Gebäude
Das Gebäude wird in Variante A originalgetreu rekonstruiert und mit Original-Ausstattungsstücken und Innenausbauten versehen. Das Gebäude wird in Variante B als wichtiger Identitätsträger erhalten und mit möglichst vielen Original-Ausstattungsstücken, Innenausbauten und der restaurierten Fassade einer neuen Nutzung angepasst. Das Fassadenprinzip und die Grundrisstypologie sind dabei aus der Logik und Architektonik dieses großen mies’schen Würfels entwickelt: ein großer Lichthof übernimmt die Erschließungsfunktion für die Wohnungen. Eine Doppelfassade ermöglicht das Angebot großzügiger, geschützter 'Innen-Gärten', die den Schallschutz gegenüber der Candidstraße sicherstellen und ein angenehmes Innenklima erzeugen.

Die äußere Fassade kann mit einer einfachen Schiebeverglasung an Stelle der bisherigen Isolierverglasung öffenbar umgebaut und sehr einfach instandgesetzt werden. Die klimatische Funktion wird von der neuen inneren Verglasung übernommen. Zwischen äußerer und innerer Verglasung entsteht ein, als 'Innengarten' hochwertig nutzbarer, schallgeschützter Pufferraum. Die Grundrisse orientieren sich am architektonischen Vorbild von Walter Henn: Ludwig Mies van der Rohe. Dieser hat für seine Wohnbauten in Chicago und Detroit eine klare Systematik aus dienendem Kern und großzügig nach außen sich öffnenden Grundrissen entwickelt. Wir interpretieren dieses Prinzip zeitgenössisch mit größeren Bädern und einer Verbindung von Wohn- Ess- und Küchenräumen.

Im Sockel des Gebäudes wird die 'zweite' Fassade unmittelbar hinter der äußeren positioniert, um einen möglichst ‚originalgetreuen‘ Grundriss zu erhalten. Wir schlagen hier gemeinschaftsbildende und gewerbliche Nutzungen vor, die sich unmittelbar aus der Geschichte des Gebäudes ergeben: die ehemalige Osram-Betriebskantine wird zum Restaurant, die Casinos werden zu gecaterten Besprechungsräumen. An der Nord-Ost-Ecke sehen wir eine Rekonstruktion des 'originalen' Großraumbüros als co-working office vor. In der Südost-Ecke soll ein Tagescafe mit Außengastronomie zur Belebung des Hauses und der Esplanade beitragen.

Wir können uns, alternativ zur gewünschten reinen Wohnnutzung, sehr gut auch eine weitere Büroetage im 1. OG vorstellen, die dann eine völlige Rekonstruktion eines Großraumbüros erlauben würde. In andere Städten sind co-working offices in ähnlicher Größenordnung wirtschaftlich sehr erfolgreich (z.B. das 'secondhome' in London (http://secondhome.io/) oder das 'Betahaus' in Berlin). Eine solche Programmergänzung wäre auch in Hinblick auf das von uns angestrebte 'Komplettangebot' des neuen Osram-Quartiers erstrebenswert.
Das hochwertig ausgestattete, rekonstruierte, heute im Zuge der ‚Vintage-kultur' wieder hochgeschätzte Treppenhaus, dient als Foyer für die Sockelnutzungen, aber vor allem auch für die hochwertige Wohnnutzung der Obergeschoße. Vom geschlossenen Innenraum wird das Foyer in den Wohngeschoßen zu einem offenen ‚Lichtraum‘ uminterpretiert, in dem die rationale Konstruktion, die Struktur des Gebäudes, als abstrakte Skulptur sichtbar gemacht wird.

Gebäudetypologie
Die neuen Gebäude orientieren sich im Maßstab an der Osram-Architektur und sind als städtische Großbauten mit Erschließungs-Innenhöfen konzipiert. Der Schallschutz wird bei Gebäude 2 durch eine nach Norden gerichtete, geschützte Laubengangfassade erreicht. Diese ist als gläserne Lärmschutzwand bis zum Gebäude 1 fortgeführt.
Die von uns vorgeschlagenen Gebäudetypologien wurzeln ganz bewusst im architektonischen Erbe der Moderne. Exemplarisch dafür steht die intensive Arbeit an der 'Wohnung für das Existenzminimum', ebenso wie die Entwicklung eines neuen 'modernen' Wohngefühls - der Verbindung von Innen und Außen. Dies hat sich im 20. Jahrhundert zu gültigen Typologien verdichtet, die heute leider oft und sehr zu unrecht, in Verruf oder Vergessenheit geraten sind. Wir sehen hier, vor allem auch vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um 'bezahlbaren' Wohnraum, ein hohes Potential der Erneuerung aus einer vergessenen Tradition.

Gebäude 2 / EOF-Wohnen
Das Gebäude 2 ist als lebendiger Großblock mit unterschiedlichen Wohnungen und Wohnformen konzipiert. Im Erdgeschoß nimmt es einen Supermarkt mit Bäckerei auf, aber ebenso 2-geschoßige Werks- und Verkaufs-Wohnungen. Diese Wohn- und Arbeitseinheiten werden die Esplanade und die Innenhöfe auch außerhalb der beschränkten Öffnungszeiten von 'konventionellen' Gewerbeeinheiten beleben. In den darüberliegenden Wohngeschoßen dient die Erschließung auch der Begegnung und der Identifikation der Bewohner mit Ihrem 'Block': Die Laubengangwohnungen erhalten kleine 'Vorgärten'. Der Laubengang wird durch Licht-Öffnungen auf Distanz gehalten. Die innenliegenden Gänge der Ost-West gerichteten Minimalwohnungen münden in weite offene Treppenhallen. Nach Süden sind familiengerechte Großwohnungen mit großzügigen Loggien vorgesehen. Das Gebäude ist seriell aufgebaut: eine weitgehende Vorfertigung oder auch die Erstellung als Holzsystembau bieten sich an. Durch die rationale Bauweise und robuste Materialisierung und durch die angebotenen reduzierten Wohnflächen, soll eine dauerhafte Bezahlbarkeit des Wohnraums erreicht werden.

Gebäude 3 / Wohnturm
Das von uns vorgeschlagene Wohnhochhaus in der Variante A auf einem Parkhaus-Sockel, wie es beispielsweise von Bertrand Goldberg mit seinen Marina-Towers entwickelt wurde, könnte einen verkehrs-bejahenden, modernistischen Impuls für das, direkt am mittleren Ring gelegene, Quartier bilden. Die freiwillige Höhen-Selbstbeschränkung im Wettbewerb ist für uns nicht nachvollziehbar. Das im Protokoll des Zwischenkolloquiums genannte wirtschaftliche Argument gegen Wohnhochhäuser wird durch die zahlreichen, weltweit (und die wenigen in München) äußerst erfolgreichen Gegenbeispiele aufgewogen. Wir sehen an dieser Stelle ein großes Potential zur Schaffung hochwertigsten Wohnraums, eben in dieser Wohnform und der Verbindung von idealer Erreichbarkeit, guter Lage und großartigen Ausblicken. Der Schallschutz kann durch eine einfache Doppelfassade erreicht werden, die den Komfort, die Nutzungsmöglichkeiten und die ökologischen Qualitäten der Wohnungen weiter erhöht.

Gebäude 4 / 'Normal'-Wohnen
Im Gebäude 4 haben wir das Achsmaß vergrößert und nach (dem ruhigen) Süden alle Wohnungen mit großen Gartenterrassen versehen. Eine 'gestapelte' Typologie, wie man sie aus den beliebten Hanghäusern des Olympiadorfs kennt. Der Gebäudesockel ist auch hier mit zusätzlichen Nutzungen belebt: Wohn- / Arbeitseinheiten wechseln sich ab mit sozialen Nutzungen wie der Kita oder einem Nachbarschaftstreff. Ebenfalls enthalten sind notwendige Funktionsräume wie ein Fahrradparkhaus. Wie alle anderen Gebäude ist auch das Gebäude 4 direkt mit einer eigenen Tiefgarage verbunden.



Impressum:

Muck Petzet Architekten

Architekt BDA Dipl.-Ing. Muck Petzet
Landwehrstrasse 37
D - 80336 München
E-Mail: sekretariat(at)muck-petzet.com

Der Architekt Muck Petzet ist Mitglied
der Bayerischen Architektenkammer,
Waisenhausstraße 4, 80637 München
Mitgliedsnummern: 172838. Hinweise
zum bayerischen Architektengesetz und
der Berufsordnung sind einsehbar unter
www.byak.de

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